P. Farrugia (Hrsg.): The River of History

Cover
Title
The River Of History. Transnational and Transdisciplinary Perspectives on the Immanence of the Past


Editor(s)
Farrugia, Peter
Published
Extent
292 S.
Price
$ 39.95
Rezensiert für 'Connections' und H-Soz-Kult von:
Dr. Andrea Brockmann; Universität Münster

Nach der Lehre des griechischen Philosophen Heraklit von Ephesos befindet sich alles im Fluss, der durch das Gesetz der Vernunft geleitet wird. Heraklits Fließen, das Werden und Vergehen, sind Ausdruck des Wirkens des logos, der Gesetze der Vernunft, die aber nur wenigen zugänglich ist. Das ewige und unendliche Sein ist ein ständig fließender Prozess, und nach Heraklit ist es unmöglich, zweimal in denselben Fluss zu steigen, da die Dinge einer steten Umwandlung unterworfen sind. Heraklits Fluss-Metapher dient Peter Farrugia als Ausgangspunkt für seinen Sammelband „The River of History“, der Beiträge einer international und interdisziplinär angelegten Konferenz zusammenfasst, die vom 28. bis 30. September 2000 in Brantford, Ontario, stattgefunden hat. Die Teilnehmer/innen aus Nordamerika sowie Australien diskutieren unter einer transdisziplinären und erinnerungskulturellen Perspektive Themen aus den Fachbereichen Politikwissenschaft, englische Literaturwissenschaft, Philosophie sowie Religions- und Rechtswissenschaft. Das Spektrum der Inhalte ist somit sehr vielfältig und weit gefasst, doch diese an sich interessante und durchaus aspektreiche Themenvielfalt droht ins Nirgendwo abzugleiten, da sich leider kein roter Faden findet, der die Beiträge miteinander verbindet.

Der Herausgeber versucht in seiner Einleitung den Überbau zu formen, in dem er verschiedenste Entwicklungen und Problemfelder der historiografischen Fachwissenschaft nachzeichnet. In kurzen Abschnitten handelt er das Verhältnis von Geschichte und Medien ab, thematisiert die „Geburt“ der Sozialgeschichte, Inhalte der postmodernen Geschichtskritik, die Wiederentdeckung des Narrativen bis hin zur definitorischen Abgrenzung von Geschichte und Gedächtnis. Die kontextuelle Gemengelage, die angesichts der Bildung neuer Paradigmen um die Begriffe Gedächtnis und Erinnerung in der geschichtlichen Betrachtung entstanden ist, hätte an dieser Stelle eine präzisere Begriffsabgrenzung erfordert. Die Darstellung mündet in der Aufforderung, Geschichte nicht linear zu denken und zu schreiben, sondern der Herausgeber unterstützt die Idee des „Long Now“, das die Verbindungen zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft stärker akzentuiert. Nach Farrugias Einleitung, die in ihrem Gesamttenor sehr moralisierend wirkt, folgen vier Sektionen.

In Sektion I steht die zunehmende Fiktionalisierung in der medialen Darstellung von Geschichte sowie die Fragmentierung des historischen Wissens, das in Schulen, öffentlichen Bildungseinrichtungen und Medien vermittelt wird, im Mittelpunkt. Die Durchdringung des historischen Genre durch die „entertainment industry“ auf dem kommerziellen Fernsehmarkt Nordamerikas ist in dieser Ausformung nicht mit den Bedingungen im dualen Rundfunksystem in der Bundesrepublik Deutschland zu vergleichen, wenngleich sich auch hier die Frage nach den Konsequenzen einer unterhaltungsorientierten Geschichtsdarstellung in den audiovisuellen Medien stellt. 1 Sektion II beschäftigt sich mit verschiedenen Konzeptionen von Arm und Reich, von Herrschenden und Unterdrückten. Praxisnahe Einblicke in die Vermittlung von Rechtsgeschichte vermittelt das Projekt OZCAN, ein computergestütztes und interaktives Diskussionsprogramm zur Rechtsgeschichte in den britischen Kolonien von Australien und Kanada. Weitere Beiträge beschäftigen sich mit der (Rechts-)Geschichte der Aborigines in New South Wales. In Sektion III geht es in einem recht pauschalen Zugriff um die Beziehungen zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, expliziert am Beispiel der amerikanischen und deutschen Sicht auf den Ersten Weltkrieg, oder in einem religiösen bzw. literarischen Motiv, das durch die Baptistenkirche Torontos zirkuliert, und entlang des Boxer-Aufstandes (1898-1900) in China. In Sektion IV wird die Technologiekritik bei Marshal McLuhan, George Grant und Harold Innis thematisiert und die globale Klimaerwärmung kritisch reflektiert.

In den einzelnen, sehr heterogenen Aufsätzen wird der Anschluss an den aktuellen Erinnerungsdiskurs gesucht. Der Verweis auf Maurice Halbwachs findet sich in den theoretischen wie methodologischen Überlegungen ebenso wie der Memoriagedanke, der die Arbeiten von Aleida und Jan Assmann trägt, jedoch kennzeichnet die im Sammelband thematisierten Fallstudien jeweils eine sehr spezifische Perspektive, die keine Allgemeingültigkeit beanspruchen kann. Doch die aspektreiche Beziehung zwischen Gedächtnis und Geschichte deutet an, wie zentral die Frage nach dem Übergang ist. Im komplizierten Zusammenspiel von individueller Erinnerungsarbeit, kollektivem Gedächtnis und Geschichte kommt der medialen Vermittlung eine spezifische Funktion zu. 2 Ein kollektives Gedächtnis kann nur kommunikativ erzeugt und interaktiv erlebt werden. Seine Konstruktionen, die in den gesellschaftlichen Kommunikationsprozessen einer ständigen Redefinition und Intervention unterliegen, werden in objektivierten, rituellen oder inszenierten Erinnerungsanlässen repräsentiert. Diese Erinnerungen – als Verbindungsstelle zwischen Geschichte und Gedächtnis – sind kulturell präformiert und abhängig von den Organisationsformen, Medien und Institutionen ihrer Weitergabe. 3 Somit stellt sich die forschungsrelevante Aufgabe, in der Dialektik von Gedächtnis und Geschichte die kommunikative Strategie und den medienbedingten Strukturwandel der Erinnerung detailliert zu schildern.

Wie Peter Farrugia mit dem Sammelband „The River of History“ deutlich macht, liegt ein für die Geschichtswissenschaft zukunftsweisender Weg darin, in einer multiperspektivischen Zugangsweise Ansätze aus unterschiedlichen Disziplinen zusammenzuführen, um deren Methoden und Ergebnisse zu integrieren, ohne das traditionelle hermeneutische Paradigma aufzugeben. Diese methodische Herangehensweise meint nicht die bloße Addition einzelner bekannter und viel verzweigter Ansätze, sondern betont vielmehr das Zusammenwirken und bewusste Inbezugsetzen der an der Erinnerungsarbeit beteiligten Faktoren. Ein derartiges interdisziplinäres Tableau akzentuiert die Ebenen kultureller Gleichzeitigkeiten, setzt die einzelnen Analysekategorien dialogisch in Beziehung und hilft die vielfältigen Wechselbeziehungen zwischen den unterschiedlichen Feldern der historischen Darstellung, Zirkulation und Rezeption transparent und verständlich zu machen. Ein derartig zirkuläres Verfahren rekurriert auch auf den Zusammenhang von Kognition, Kommunikation, Medien und Kultur, der als wechselseitiger Konstitutionszusammenhang die soziale Zirkulation von Bedeutung und Bewusstsein steuert. 4 Darüber hinaus wird das Konzept von der Absicht getragen, die Verengung auf eine teleologische Linie des geschichtlichen Prozesses zu vermeiden und die standortgebundene Gegenwartsperspektive der Historiker/innen mit in die Analyse einzubeziehen.

Anmerkungen:
1 Näpel, Oliver, Historisches Lernen durch ‚Dokutainment’? – Ein geschichtsdidaktischer Aufriss. Chancen und Grenzen einer neuen Ästhetik populärer Geschichtsdokumentationen analysiert am Beispiel der Sendereihen Guido Knopps, in: Zeitschrift für Geschichtsdidaktik, Jahresband 2003, S. 213-244.
2 Ertll, Astrid; Nünning, Ansgar (Hgg.), Medien des kollektiven Gedächtnisses. Konstruktivität – Historizität – Kulturspezifität, Berlin 2004.
3 Crivellari, Fabio; Kirchmann, Kay; Sandl, Marcus; Schlögl, Rudolf (Hgg.), Die Medien der Geschichte. Historizität und Medialität in interdisziplinärer Perspektive, Konstanz 2004.
4 Schmidt, Siegfried J., Kognitive Autonomie und soziale Orientierung, Frankfurt am Main 1994, hier S. 321.

Editors Information
Published on
07.09.2006
Edited by
Cooperation
Diese Rezension entstand im Rahmen des Fachforums 'Connections'. http://www.connections.clio-online.net/
Classification
Temporal Classification
Regional Classification
Subject - Topic
Book Services
Contents and Reviews
Availability
Additional Informations
Language of publication
Country
Language of review